"Jedes Zeitalter hat seinen Faschismus"

Madeleine Albright: Faschismus. Eine Warnung, 2018.

„Jedes Zeitalter hat seinen Faschismus“ mit diesem Zitat des italienischen Schriftstellers und Holocaustüberlebenden Primo Levi beginnt Madeleine Albright ihr 2018 erschienenes Werk „Faschismus – Eine Warnung“. Im Mittelpunkt des Buchs steht ihre Sorge vor einem Wiedererstarken antidemokratischer, repressiver und zerstörerischer Kräfte.

Wer hofft, hier eine ideengeschichtliche Abhandlung über Faschismus vorzufinden, wird enttäuscht. Albright geht bei der Herleitung der Begrifflichkeit ihren eigenen Weg: „Wer den Begriff ‚Faschist‘ benutzt, offenbart sich selbst. Für Anhänger der extremen Linken passt diese Bezeichnung vermutlich auf jeden Wirtschaftsboss. (…) Wenn Menschen ihren alltäglichen Frust Luft verschaffen, wird das Wort millionenfach verwendet (S. 16 f.)“. Die Autorin warnt vor einer inflationären Nutzung, mit der zwangsweise eine Verwässerung und Verharmlosung der wichtigen Begrifflichkeit einhergehe. Vom wissenschaftlichen Diskurs ist Albright wenig überzeugt: „Wann immer ein Fachmann ‚Heureka!‘ ruft und behauptet, eine stichhaltige Begriffsbestimmung gefunden zu haben, widersprechen ihm Kollegen entrüstet (S. 17).“

Sie vertritt die Meinung: „Ein Faschist ist jemand, der sich stark mit einer gesamten Nation oder Gruppe identifiziert und den Anspruch erhebt, in deren Namen zu sprechen, jemand, den die Rechte anderer nicht kümmern und der gewillt ist, zu Erreichung seiner Ziele jedes Mittel zu ergreifen, einschließlich Gewalt. Diesem Konzept zufolge wird ein Faschist wahrscheinlich ein Tyrann sein, aber ein Tyrann muss nicht zwangsläufig ein Faschist sein (S. 21)“. Diese Begriffsdeutung löst sich von der tradierten Ansicht, Faschisten seien nur auf der extremen Rechten des politischen Spektrums zu finden. Dementsprechend umfasst ihre Analyse nicht nur die Geschichte der Wegbereiter des Faschismus wie Benito Mussolini, Adolf Hitler und Francisco Franco. Sie richtet ihren Blick auch auf Despoten und Politiker demokratischer Staaten, die sich zu ihrem eigenen Vorteil (in unterschiedlichem Ausmaß) faschistischer Mittel bedient haben bzw. bedienen. Dabei geht es um den Vergleich der Mittel, nicht um eine Gleichsetzung der Protagonisten und ihrer Taten.

So skizziert Albright die Aufstiege u. a. von Juan Perón, Wladimir Putin, Slobodan Milošević, Recep Tayyip Erdoğan, Hugo Chávez, Viktor Orbán und der nordkoreanischen Kims. Diese gelungenen Dossiers sind nüchtern und präzise formuliert, ganz im Stil einer Diplomatin. Besonders lesenswert sind die Auszüge, wenn Albright auf eigene Erfahrungen zurückgreift: „Im Verlauf von zwei Tagen sprach ich insgesamt etwa zwölf Stunden mit dem ‚Geliebten Führer‘, dem Sohn Kim Il-sungs. (…) Während unserer Besprechungen hörte er sich höflich an, was ich zu sagen hatte, und unternahm keinen Versuch, mir – wie Milosevic oder die Türken es gern taten – Vorträge über die Geschichte zu halten. Er schweifte auch nicht in der Art des chinesischen Außenministers auf ein beliebiges Thema ab. Vielmehr ließ er mich ausreden, und wenn ich aus Höflichkeit eine Pause einlegte, bat er mich, weiterzusprechen und meine Gedanken zu Ende zu führen, was ich bei meinen männlichen Kollegen in Washington fast nie erlebte (S. 229 f.).“

Sorgenvoll blickt die Autorin auf die jüngeren Entwicklungen in Demokratien: Als Bedrohungen nennt sie Verlustängste und das abnehmende Vertrauen in demokratische Institutionen. Als Ursprung für diese Entwicklung macht sie gezielte Desinformationskampagnen aus: „Heute wird die Demokratie von Lügen geschwächt, die in immer neuen Wellen gegen unsere Sinne anbranden und sie abstumpfen. Aufrichtige Politiker haben es schwer, nicht im Nachrichtenstrudel unterzugehen, und sie müssen ihre Energie darauf verschwenden, sich Geschichten zu erwehren, die rein zu ihrem Schaden in Umlauf gebracht werden und deren Urheber nicht greifbar sind (S. 136)“. Albright plädiert für eine Möglichkeit, Internetnutzer auf Falschnachrichten aufmerksam zu machen: „Und wir benötigen eine Regulierung, die sicherstellt, dass die Quellen über das Internet verbreiteter politischer Botschaften so eindeutig erkennbar sind, wie dies bei Wahlwerbespots im Radio und Fernsehen der Fall ist (S. 135).“ Hier scheint die ehemalige US-Außenministerin den Teufel mit Beelzebub austreiben zu wollen. Einen digitalen Wächterrat für Nachrichten einzuführen, wäre wohl nicht Teil der Lösung, sondern des Problems und kann nicht im Sinne einer Demokratie sein.

Neben wirtschaftlicher Prosperität erachtet Albright, die „edelmütige Gesinnung – die Sorge um andere und die Überzeugung, dass wir alle gleich erschaffen sind – als das wirksamste Mittel gegen die egozentrische Stumpfheit, die dem Faschismus seinen Erfolg sichert (S. 81).“ Sie spricht sich gegen Abschottung und Kleinstaaterei aus: „Die Betonung auf Exklusivität und Unveränderlichkeit soll tröstlich wirken, doch was darin mitschwingt, sind Vorurteile und ein Mangel jeglicher Ambitionen (S. 220).“ Das Brexit-Votum bezeichnet sie als eine „Übung in ökonomischen Masochismus“, den die Briten noch lange bedauern werden. Wirtschaftliche Prosperität und internationale Zusammenarbeit sind für Albright zwei Seiten derselben Medaille.

Die USA unter Trump sind bei ihren Ausführungen allgegenwärtig und dennoch zeigt Albright auch ein geschultes Auge für die politischen Entwicklungen in Europa. Das Buch der ehemaligen US-Außenministerin ist mehr als eine Abhandlung über Faschismus, es ist ihr politisches Vermächtnis. Politikerinnen und Politiker ihres Formats, die Krieg und Vertreibung am eigenen Leib erfahren haben, waren lange Zeit Garanten einer kooperativen Außenpolitik; die Auseinandersetzung mit ihrer Sicht auf die Welt kann sich lohnen. (bp 2021)