Der Öffentlichkeit verpflichtet

Edward Snowden: Permanent Record, 2019.

 

„Die wichtigsten Institutionen meines Lebens waren betrogen worden und betrogen mich: mein Land und das Internet.“

(Edward Snowden)

 

Im Juni 2013 veröffentlichten der britische Guardian sowie die amerikanische Washington Post geheime Dokumente über die weltumspannenden Ausspähaktivitäten des US-Geheimdienstes NSA und seines britischen Pendants GCHQ. Der Mann, der hinter den Enthüllungen steht, stellte Ende 2019 seine Autobiografie „Permanent Record“ vor. Über Edward Snowden konnten wir in den vergangenen Jahren einiges erfahren, neben zahlreichen Interviews nahm sich auch Hollywood seiner Biografie an. Während Oliver Stone in seinem Drama „Snowden“ Authentizität vermissen lässt, lieferte Laura Poitras mit „Citizenfour“ eine beeindruckende Dokumentation über den Whistleblower. Die nun erschiene Autobiografie Snowdens ist auch für all jene, die mit seiner Geschichte bereits vertraut sind, lesenswert.

Dem Autor gelingt es, das Ausmaß der Bespitzelung durch die Geheimdienste auch für technische Laien anschaulich zu erläutern. So schreibt er über die Ausspähmöglichkeiten seines ehemaligen Arbeitgebers und anderer Geheimdienste u. a.: „Wenn Du (…) diesen Satz gerade auf irgendeinem modernen elektronischen Gerät, etwa auf einem Smartphone oder Tablet, liest, dann können die Geheimdienste Dir folgen und Dich lesen. Sie können verfolgen, wie schnell oder langsam Du die Seiten umblätterst und ob Du die Seiten alle nacheinander liest oder zwischen den Kapiteln hin- und herspringst.“ Bei der Dimension der Geheimdienstaktivitäten von orwell‘schen Zuständen zu sprechen, ist keineswegs übertrieben. Nicht nur die Bürgerinnen und Bürger innerhalb und außerhalb der USA waren davon betroffen, sondern auch 122 Regierungsoberhäupter, darunter auch Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Seine Ausführungen über die Möglichkeiten der geheimdienstlichen Überwachung im 21. Jahrhundert gehören ebenso zu den Stärken des Buchs wie die Apotheose vom braven Staatsangestellten zum bekanntesten Whistleblower unserer Zeit. Die Kapitel über die Entwendung hochsensibler Geheimdienstdaten sowie seine Flucht über Hongkong nach Ecuador, die abrupt in Moskau endete, lesen sich wie ein Spionagethriller.

Das russische Asyl schadete Snowdens Ansehen in den USA. Zwar räumt Snowden ein, der russische Geheimdienst habe versucht, ihn anzuwerben, aber er widerspricht entschieden den Gerüchten, er kooperiere mit den Russen. Überdies nutzt er die Biografie auch, um sein Handeln im Jahr 2013 vorrangig seinen Landsleuten gegenüber zu rechtfertigen. „Erst als ich die Überwachungsmechanismen und den Schaden, den sie anrichten, besser durchschaute, erkannte ich, dass wir, die Öffentlichkeit – und zwar nicht nur die Öffentlichkeit eines einzigen Landes, sondern der ganzen Welt – niemals ein Mitspracherecht in dieser Sache gehabt hatten. (…) Das System der weltumspannenden Überwachung war nicht nur ohne unsere Zustimmung errichtet worden, es waren uns auch sämtliche Einzelheiten bewusst verschwiegen worden, zu jeder Zeit wurden alle Stufen des Prozesses und seine Folgen vor der Bevölkerung und den meisten Abgeordneten geheim gehalten.“ Snowden argumentiert, er fühle sich der Öffentlichkeit verpflichtet und nicht einem Staat, der sich hinter dem Rücken seiner Bürgerinnen und Bürgern eines solchen Überwachungsinstrumentes bedient.

Als müsse er belegen, dass er ein waschechter US-Amerikaner sei, schreibt der Autor über die Herkunft seiner Familie: „Ihre Abstammung geht unmittelbar auf die Pilgerväter zurück: Ihr erster Vorfahre an unserer Küste war John Alden, der Küfer oder Böttcher der Mayflower.“ Zudem zählt er auf, welche herausragenden Staatsdiener seine Familie seit 1776 hervorgebracht hat. Als seien Staatstreue und Patriotismus feste Bestandteile der Snowden-DNA und somit eine Legitimation seiner Taten qua Abstammung.

Demgegenüber sind die Ausführungen über sein Exil in Moskau eher zurückhaltend. Weniger Ahnenforschung und dafür einen ausdifferenzierten Blick auf sein Leben im Exil wäre hier wünschenswert gewesen.

Wer wissen will, was einen Menschen antreibt, der eigentlich alles hat (eine außergewöhnliche Karriere, eine glückliche Beziehung sowie eine Anstellung auf Hawaii), all diese Sicherheiten und Annehmlichkeiten zu opfern, um die Welt auf die Datenkrake NSA aufmerksam zu machen, dem sei das Buch empfohlen. (bp 2020)