Iron Man oder Dr. Doom – Held oder Schurke?

Ashlee Vance: Elon Musk: Wie Elon Musk die Welt verändert - Die Biografie, 2015.

Elon Musk gehört wohl zu den umtriebigsten Unternehmern unserer Zeit. Kaum eine Woche vergeht, in der Musk nicht medial von sich reden macht. Im Herbst 2021 legte er sich mit Bernie Sanders an, Grund für den Disput sind dessen Überlegungen zu einer Vermögensteuer. Via Twitter ließ er kürzlich seine Follower über einen Teilverkauf seiner Tesla-Aktien abstimmen. Ein absolutes Novum für ein Unternehmen mit einem Gesamtwert von nicht weniger als einer Billion US-Dollar (Stand 25.10.2021).

Musk ist in der Lage, einen nicht unerheblichen Teil seiner Anhänger mit einem einzigen Tweet für seine Interessen zu mobilisieren, sei es, um den Kurs von Aktien und Kryptowährungen zu beeinflussen oder sie für einen neuen Messenger-Dienst zu gewinnen. Nebenbei brachte er mit seinem Unternehmen SpaceX Astronauten mit einer selbst entwickelten Rakete zur Weltraumstation ISS. Erstmals in der Geschichte übernahm diese Aufgabe ein privates Raumfahrtunternehmen.

Als sei das nicht schon genug für ein Leben, revolutionierte er den Automobilbau, indem er der Welt vor Augen führte: Elektromobilität ist keine ferne Zukunftsvision, sondern heute bereits möglich. Der weltweite Erfolg seiner Teslas lehrte den etablierten Autobauern rund um den Globus das Fürchten. Auf diesem Weg veranlasste er eine ganze Branche zum Umdenken. Wer früher ein E-Auto sein Eigen nannte, galt zumeist als Sonderling. Ein Tesla hingegen ist heute ein Statussymbol. Mit dem Hyperloop entwickelte der Ingenieur ein Konzept für den erdgebundenen Hochgeschwindigkeitstransport von Passagieren. Überdies hegt Musk noch ambitioniertere Pläne, die neben dem Ziel einen Menschen auf dem Mars zu bringen, auch die ständige Besiedelung des Weltalls umfassen.

Doch wer ist der Mensch, der sich der Öffentlichkeit gern als die reale Version des Comic-Helden Tony Stark alias Iron Man präsentiert? Wie wurde der Junge aus Pretoria zu dem Mann, dem allein auf Twitter mehr als 64 Millionen Menschen folgen? Mit dieser Frage setzt sich Ashlee Vance in seinem Weltbestseller „Tesla, PayPal, SpaceX – Wie Elon Musk die Welt verändert“ auseinander. Zu Beginn schildert der Autor die zähen Verhandlungen mit Musk über sein Vorhaben, dessen Leben zu porträtieren. Erst nach etlichen erfolglosen Versuchen erhielt er einen exklusiven Zugang zu dem Milliardär und zu seinem persönlichen Umfeld. Genau das ist der Reiz einer autorisierten Biografie; sie bietet jedoch zugleich den Nachteil einer großen Abhängigkeit des Autors von der Person, die er in den Mittelpunkt seines Forschungsvorhabens stellt.

Ist die Abhängigkeit zu groß oder lässt sich der Biograf zu sehr auf die Schilderungen seines Gegenübers ein, erhalten die Leserinnen und Leser zumeist nicht mehr als Fanboy-Literatur geboten. Als Negativbeispiel ist Alices Schroeders Biografie „Warren Buffett – Das Leben ist wie ein Schneeball“ zu nennen. Nach mehr als 1000 Seiten verortet ein unkritischer Leser den Börsenguru historisch irgendwo zwischen Mutter Teresa und Mahatma Gandhi. Wenngleich Vance‘ Buch eine hohe Wertschätzung gegenüber Musk erkennen lässt, ist es falsch, seine Arbeit als unkritisch oder gar gefällig zu bezeichnen.

Chronologisch erzählt der Autor Musks Lebensgeschichte von seiner schwierigen Kindheit im südafrikanischen Apartheidstaat, über sein Entkommen aus dem väterlichen Haus, das ihn über Kanada in die USA führte. Ein Hauptaugenmerk legt der Wirtschaftsjournalist dabei auch auf die unternehmerischen Erfolge von Paypal, Tesla und SpaceX.

Musk erachtet heute das Leid, das er in seiner Kindheit erfahren musste, als Triebkraft für seine Erfolge. Vance schreibt über diese prägende Zeit: „Elon zeigte alle Merkmale eines neugierigen, energiegeladenen Kerlchens (…). Verwirrend war, dass Elon manchmal in eine Trance zu geraten schien. Jemand sprach mit ihm, aber wenn er einen bestimmten abwesenden Blick hatte, drang nichts mehr zu ihm durch. (…) Andere Kinder reagierten nicht nett auf diese traumartigen Zustände (S. 36).“ Diese Methode nutzte Elon bereits im Alter von sechs Jahren, um den Rest der Welt auszusperren und sich uneingeschränkt auf eine einzige Aufgabe zu konzentrieren.

Sein Interesse an Büchern bezeichnet sein Biograf als zwanghaft. Zwei Bücher an einem Tag zu lesen, war an einem Wochenende für den Jungen keine Ausnahme. Als prägende Literatur seiner Jugend nennt Musk neben Tolkiens „Der Herr der Ringe“ auch den Science-Fiction-Klassiker „Die Foundation-Trilogie“ von Isaac Asimov. Laut seiner Mutter und seiner Geschwister konnte er nicht nur schnell lesen, sondern auch die Inhalte der Bücher detailliert wiedergeben, was ihm zu einem wandelnden Lexikon oder anders ausgedrückt zu einem penetranten Besserwisser machte. Seine Mitschüler betrachteten ihn zumeist als Letzteres.

Erschreckend sind die Schilderungen von physischer und psychischer Gewalt, die der junge Musk in der Schule ertragen musste. Als sich seine Eltern scheiden ließen, war Elon acht Jahre alt. Zwei Jahre später zog er und sein Bruder Kimbal freiwillig zu ihrem Vater. Eine Entscheidung, die Musk heute bereut. Über diese schwierige Zeit schreibt der Autor: „Genaueres wollen Elon und Kimbal nicht erzählen, aber in den Jahren mit ihrem Vater haben sie eindeutig grundlegend schreckliche Dinge erlebt (S. 41).“ Als ein „emotional sehr schwieriges Aufwachsen“ fasst Kimbal die Zeit mit seinem Bruder und seinem Vater zusammen. Als Musk mit 17 Jahren Südafrika Richtung Kanada verlässt, endet für ihn eine Epoche, die von Gewalt geprägt war.

Nach wie vor fällt es Musk schwer, soziale Bindungen einzugehen. Viele Anekdoten, die Vance in seine Biografie einfließen lässt, zeugen von den sozialen Unzulänglichkeiten des Milliardärs. Eine traurige Episode, die sinnbildlich hierfür steht, dreht sich um seine langjährige Assistentin Mary Beth Brown, die bereits in den frühen Tagen von SpaceX zu Musk stieß: „Brown (…) wurde Musks loyale Assistentin; die beiden lebten sozusagen die Realversion des Verhältnisses zwischen Tony Stark und Pepper Potts im Film Iron Man. Wenn Musk 20 Stunden arbeitete, tat Brown das Gleiche (S. 113).“ Sie organisierte sein gesamtes Leben und war eine erfolgreiche Mittlerin zwischen der Belegschaft und ihrem nicht einfachen Chef. Dementsprechend war sie nicht nur wertvoll für Musk, sondern für das gesamte Unternehmen. Nach zehn Jahren in den Diensten von SpaceX trat Brown mit der Bitte an Musk heran, er möge sie aufgrund ihrer großen Verantwortung für das Unternehmen wie eine Führungskraft entlohnen.

So reagierte Musk auf ihr Anliegen: „Brown solle sich ein paar Wochen freinehmen – in dieser Zeit wolle er alle ihre Aufgaben mit erledigen, um herauszufinden, ob sie wirklich so schwierig sind. Als Brown zurückkam, ließ Musk sie wissen, dass er sie nicht mehr brauche.“ Seine Begründung: „Sie habe sich zu sehr daran gewöhnt, in seinem Namen zu sprechen (S. 306).“

Das ist der große Unterschied zu Tony Stark: Er hätte Pepper Potts niemals entlassen. Diese Episode zeugt davon, was für ein Mensch Elon Musk ist. Von jedem, der für ihn arbeitet, verlangt er, Übermenschliches zu leisten. Wer nicht, wie er, alles für den Job aufbietet, hat keinen Platz bei Tesla oder SpaceX. Vance‘ Porträt zeigt einen getriebenen Mann, der kein Mitleid kennt, weder gegenüber anderen noch gegenüber sich selbst. Wer wissen möchte, wie Musk zu dem gefeierten Unternehmer wurde, der er heute ist, dem sei dieses Buch empfohlen, ebenso wie seinen Twitter-Jüngern, die dem Milliardär mit nahezu religiösem Eifer folgen. (bp 2021)