Walter Isaacson: Steve Jobs. Die autorisierte Biografie des Apple-Gründers, 2023.
Mehr als ein Jahrzehnt nach seinem Tod ist der Erfolg von Steve Jobs noch immer legendär. Seine Verehrung in der Tech-Branche hat mittlerweile religiöse Züge angenommen. Etliche internationale Bestseller beschäftigen sich mit Jobs Unternehmensphilosophie und dem Aufstieg Apples unter seiner Führung. Sie sollen nicht nur Unternehmensgründern oder Managern helfen, ihr Business auf Erfolgskurs zu bringen, sondern auch zur individuellen Optimierung dienlich sein.
In diese Kategorie der „Jobs‘istischen Selbsthilfebücher“ fallen Titel wie Carmine Gallos „Was wir von Steve Jobs lernen können: Verrückt querdenken – Strategien für den eigenen Erfolg“, Karen Blumenthals „Steve Jobs: Think different – Die Welt anders denken“, Jay Elliots „Steve Jobs – iLedership: Mit Charisma und Coolness an die Spitze“ oder Simon Sineks „Frag immer erst: warum – Wie Führungskräfte zum Erfolg inspirieren.“ Ist man automatisch zum Erfolg verdammt, wenn man sich stets fragt: Was würde Jobs tun? Wer sich mit der 700-seitigen autorisierten Jobs-Biografie von Walter Isaacson auseinandersetzt, wird diese Frage wahrscheinlich nicht mit ja beantworten.
Sein Gefühl für Ästhetik und Design in Kombination mit seinem Talent, technische Geräte mit einer intuitiven Bedienung auszustatten und einem breiten Publikum zu verkaufen – sind in wenigen Worten ausgedrückt, jene Fähigkeiten, die Steve Jobs Erfolg ausmachten. Ersteres ist eine Gabe, die im Fall des Applegründers nur schwerlich von einer Obsession zu trennen war. Seine Vorliebe für das perfekte Design kannte nahezu keine Grenzen. Eine Episode aus seinen letzten Lebensjahren – Jobs kämpfte bereits gegen seine Krebserkrankung – macht dies deutlich: „Als ihm einmal unter Narkose eine Atemmaske aufgesetzt wurde, riss Jobs sie sich wieder herunter und murmelte, er hasse das Design und weigere sich, diese Maske zu tragen. Er brachte zwar kaum ein Wort heraus, befahl aber, ihm eine Auswahl fünf verschiedener Maskenmodelle vorzulegen, er würde sich dann eins aussuchen (S. 847).“
Lange zuvor ließ Jobs Fabrikhallen im Stile eines Hollywood-Sets für eine Sience-Fiction-Produktion ausstatten; mit dem Unterschied, dass hier kein Film entstand, sondern Anlagen zur Produktion ihre Arbeit aufnehmen sollten. Wer nicht Bill Gates, Elon Musk, Larry Page oder Gavin Belson heißt, kann sich solche Eskapaden nur schwerlich leisten.
Jobs Wege zur kreativen Erleuchtung sind für Selbsthilfebücher nicht uneingeschränkt empfehlenswert: Darüber erfährt der Lesende Folgendes: „‚Unser Bewusstsein wurde durch Zen erweckt, auch durch LSD.‘ Sogar später noch schwor er auf psychedelische Drogen als Mittel zur Erleuchtung (S. 87).“ Jedem steht es frei, diesen Weg zu gehen; doch in den wenigsten Fällen endet er auf dem Chefsessel eines Multi-Milliarden-Dollar-Konzerns. Kreativität ist nun mal schwer zu erlernen. Wer viel über Michelangelo liest, wird in den seltensten Fällen in seiner Garage einen David aus dem Stein hauen – auch mit der Zuhilfenahme von LSD ist der Ausgang eines solchen Vorhabens eher ungewiss. Die genannten „Jobs‘istischen Selbsthilfebücher“ vermögen es wohl kaum, in Hans Wurst und Lieschen Müller einen verborgenen Sinn für Ästhetik und Design aufkeimen zu lassen, wo zuvor dergleichen nicht zu finden war.
Kreativität und Innovationskraft ist nur eine Seite, der Medaille, die für unternehmerischen Erfolg steht. Führungsqualitäten – das heißt, allen voran der Umgang mit Menschen – ist die andere Seite. Steve Jobs war alles andere als ein Chef, der sich auf diesem Gebiet hervortat. Nicht nur bei der Auswahl seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sondern auch in seinem privaten Leben folgte er einer „binäre[n] Denkweise, Leute entweder in die Schublade Genie oder Trottel einzusortieren (S. 563).“ Seine Tiraden gegenüber seinem Team waren berüchtigt. Für Apples Aufstieg waren Menschen notwendig, die zwischen Jobs und den Angestellten vermittelten oder dem großen Chef Paroli boten – sie erfahren in Isaacsons Buch eine besondere Würdigung. Der Vater der Apple-II-Serie, Steve Wozniak, der derzeitige Apple-Chef, Tim Cook sowie die langjährige Mitarbeiterin von Jobs, Joanna Hoffman, gehören dieser Gruppe an. Über Letztere berichtet der Biograf: „Seit 1981 verliehen sie [die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Mac-Team] jährlich einen Preis an denjenigen, der sich Jobs gegenüber am besten behauptet hatte. Die Preisverleihung war teilweise scherzhaft gemeint, aber eben nur teilweise. Jobs wusste übrigens davon und freute sich darüber. Die erste Preisträgerin war Joanna Hoffman (S. 216 f.).“
Die Existenz einer solchen Auszeichnung deutet es an: Die Atmosphäre, die Jobs schuf, trug nicht unbedingt für ein angenehmes Betriebsklima bei. „Man durfte ihm widersprechen, ja wurde sogar dazu aufgefordert, und bisweilen konnte einem das auch seinen Respekt einbringen. Aber man musste darauf gefasst sein, dass er einen attackierte oder einem sogar den Kopf abriss, wenn er die geäußerten Ideen entsprechend abfertigte. ‚Eine Diskussion mit ihm kann man zu diesem Zeitpunkt nicht gewinnen, aber manchmal konnte man letzten Endes doch gewinnen‘, sagte James Vincent, ein kreativer junger Werbefachmann (…) ‚Es kann sein, du schlägst ihm etwas vor, und er verkündet: Diese Idee ist dämlich. Später kommt er dann wieder an und sagt: Das hier, das machen wir. Und dir liegt eigentlich auf der Zunge: Genau das habe ich schon vor zwei Wochen gesagt und Sie meinten, es sei eine dämliche Idee. Natürlich kannst du nicht aussprechen, was du denkst. Stattdessen sagst du einfach: Tolle Idee, so machen wir das.‘ (S. 637 f.).“
In den letzten Kapiteln des Buchs überlässt der Autor Steve Jobs die Möglichkeit, seinen wenig wertschätzenden Umgang mit seinen Angestellten zu erläutern: „Ich war manchmal hart zu anderen, wahrscheinlich härter, als es nötig gewesen wäre. Ich erinnere mich daran, dass Reed, als er sechs Jahre alt war, einmal nach Hause kam und ich an diesem Tag gerade jemanden gefeuert hatte. Ich stellte mir vor, wie es wohl für diesen Menschen sein musste, seiner Familie und seinem kleinen Sohn zu sagen, dass er gerade seinen Job verloren hatte. Das war hart. Aber jemand musste es tun. Ich verstand, dass es immer meine Aufgabe war sicherzustellen, dass das Team hervorragend war. Wenn ich es nicht tat, dann würde es keiner machen. Man muss fortlaufend darauf drängen, Innovationen hervorzubringen (S. 992).“
Jobs praktizierte einen unternehmerischen Darwinismus, worin es nicht darum ging, ein Team zu formen, sondern durch kompromisslose Auslese, die gewünschten Ergebnisse zu erreichen. Nachdem, was Issacs über Steve Jobs recherchiert hat, wie er seine Persönlichkeit beschreibt, war der Applegründer wohl gar nicht imstande anders zu agieren.
Das Talent von Jobs, wundervolle technische Geräte zu kreieren, steht außer Frage. So schreibe ich diese Zeilen auf einem wunderschönen iMac aus dem Jahr 2017, den ich jedem aktuellen Windowsrechner noch immer vorziehe. Nach der Lektüre seiner Biografie, bin ich davon überzeugt, dass Steve Jobs so erfolgreich sein konnte, weil er auf Menschen traf, die sein Genie erkannten, und seine soziale Inkompetenz aushielten oder sie sogar kompensierten. Für Managementbücher oder gar Literatur zur persönlichen Optimierung – was an sich schon ein schlimmer Ausdruck ist – sollte Jobs Leben und Wirken keine Blaupause sein.
Was sich auf jeden Fall lohnt, ist die Jobs-Biografie von Walter Isaacson zu lesen. Sie gehört zu den besten ihres Genres, weil der Autor kompromisslos die Person des Applegründers darstellt, mit allen Ecken und Kanten. Gerade deswegen, drängt sich noch eine letzte Frage auf: Warum sollte eine Auftragsarbeit derart schonungslos ausfallen? Auf den letzten Seiten seines Buchs berichtet der Autor über sein letztes Treffen mit einem schwer von Krebs gezeichneten Steve Jobs, dort spricht er über das Buchprojet: „‚Ich war ziemlich nervös wegen dieses Projekts‘, sagte er [Steve Jobs] schließlich und meinte seine Entscheidung, an diesem Buch mitzuwirken. ‚Ich war wirklich beunruhigt.‘ ‚Warum hast du es getan?‘, fragte ich. ‚Ich wollte, dass meine Kinder mich kennen‘, erwiderte er. ‚Ich war nicht immer für sie da, und ich wollte, dass sie wissen, weshalb, und dass sie verstehen, was ich getan habe. Als ich krank wurde, habe ich außerdem begriffen, dass andere Leute nach meinem Tod über mich schreiben würden, und sie wüssten rein gar nichts. Sie würden alles falsch darlegen. Also wollte ich sichergehen, dass jemand hört, was ich zu sagen habe.‘ Er hatte während der zwei Jahre nie eine Frage zu dem gestellt, was ich in das Buch aufgenommen oder welche Schlüsse ich gezogen hatte. Aber jetzt sah er mich an und meinte: ‚Ich weiß, dass in deinem Buch eine Menge Dinge stehen werden, die ich nicht mögen werde.‘ Es war mehr eine Frage als eine Feststellung, und ich erwiderte, sicher, das stimmt schon. ‚Dann ist es gut‘, sagte er. ‚Dann sieht es nicht so aus, als wäre es auf Anweisung geschrieben worden. Ich werde es erst einmal nicht lesen, weil ich mich nicht aufregen will‘ (S. 970 f.).“ (bp 2024)